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Das Verderber - Haus

Prof. Dr. Hans Koepf, Ordinarius für Baukunst und Bauformen an der technischen Universität Wien, schreibt in seinem "Buch Stadtbaukunst in Österreich" 1972: Das "... Verderber-Haus, das wohl ohne Parallele in der österreichischen Stadtbaukunst sein dürfte und leicht für ein etwas bizarres Stadttor gehalten werden könnte. Eigentlich sind es zwei Häuser mit ganz verschiedenartiger Zinnenbekrönung ... ".

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Es war das Verderber-Haus nie ein Tor, wie die beiden Retzer Stadttore ( Nalber- oder Kremser Tor und Znaimer Tor), die den Territorialbereich der Stadt begrenzten. Alle drei Bauten stehen auf dem mittelalterlichen Handelsweg "Rittsteig", der von Krems kommend nach Znaim führte. Die Durchfahrt durch den Mitteltrakt des VerderberHauses ist durch ihre Abmaße in Breite, Länge und Höhe faszinierend für die Gotik. Der Durchfahrtsbogen (Schwibbogen) ist ein Steingewölbe aus Quadern und nach der Form der Zeit um 1300 einzuordnen. Das ist die Zeit der Stadtgründung.

Noch vor dem Umbau, bzw. Zusammenbau mehrerer gotischen Häuser in ein Bauwerk im venetianischen Renaissancestil wurde der mittlere Trakt (1437) als "Gewelibhaus" bezeichnet. Die Vermutung, dieser Teil könnte einmal ein Turm gewesen sein (wie es Rud. Resch, in der Chronik der Stadt Retz, II. Teil, Seite 86, vermutete), ist durch die Bauuntersuchung (Dr. G. Seebach, 1996) in Frage gestellt.

Über dem 1. Stock war ein Satteldach, quer zur Fahrbahn (Traufe platzseitig). Die östliche Giebelwand ist noch erhalten. Wohl dürfte Hanns Fierenz von Goerz die Wände zum Hauptplatz und zur Znaimerstraße durch einen Ziegelbau erneuert haben. (Während der Restaurierung des Hauses - 1988 - wurde ein Ziegel unmittelbar über dem Steingewölbe entnommen und einer Altersbestimmung unterzogen. Er wurde der Renaissancezeit, dem 16. Jh. zugeordnet). Das Steingewölbe (Durchfahrt) blieb aus dem alten Bestand erhalten. Über das Steingewölbe setzte man ein Ziegelgewölbe (siehe Skizze) und baute es zunächst bis zum Satteldach aus.

g13-verderber3.jpgAuf dem Fries, auf dem der Hausname "Verderber Haus" steht, glotzt eine Fratze zur Straße. So wie auf alten Kirchen (Guntersdorf, Gnadlersdorf/Hnanice) unter der Dachtraufe menschliche Gesichter oder auch tierische Köpfe aus alter keltischer Tradition angebracht wurden. Wie oben erwähnt, verlief dieser Fries unmittelbar unter der Dachtraufe des Satteldaches. Die Anordnung würde somit ebenso der keltischen Tradition folgen. 1483 wurde der mittlere Trakt in Höhe und mit Zinnenbekrönung dem linken (westlichen) Teil angeglichen. Der mittlere Trakt hatte an der Ostseite, in der Höhe des Dachbodens einen Oculus (kleines rundes Fenster), der durch das Hochziehen des östlichen Baues erst später verbaut wurde. Die vier (ehemaligen) Handelsgewölbe (Fragnerstuben) im Schwibbogen sind aus dem Bestand der Gründungszeit und waren von der Stadtgemeinde verwendet oder vermietet gewesen. (Fragner, auch Pfragner, waren Kleinhändler, die Haushaltsartikel und Lebensmittel feilboten). g12-verderber2.gifWie Rudolf Resch dazu meinte, könnte der Schwibbogen einem selbständigen Turmgebäude angehört haben. Das Gebäude mit Turm ist nur vorstellbar, bevor der Umbau in der Renaissance erfolgte. Im mittleren Trakt hat sich der Bauherr "Hanns Fierenz von Goerz, 1583" verewigt. Die Familie Fierenz stammte aus Görz (Krain). In Görz starben die "Fürenzen" im 15. Jahrhundert, in Retz im 17. Jh. aus. Hanns Fierenz war Rentmeister des Grafen Julius II. von Hardegg (aus der Linie der Prüschenk).

Er, Hanns Fierenz, kannte sicher selbst den venezianischen Rennaissancestil aus seiner südländischen Heimat. Dazu kam, daß wenige Jahre vor dem Umbau des Hauses "welsche Maurer", also italienisch sprechende Maurer, 1572 den Rathausturm vom Erkergeschoß bis zur Galerie erhöhten. Wie es scheint, hatte Hanns Fierenz mit diesen Maurern die Fachleute gefunden, die er brauchte, um seine Vorstellungen für den Bau im damals modernen vornehm-italienischen Stil, zu verwirklichen. Um sein Wappen herum ließ Hanns Fierenz seinen Leitspruch: "Alles mit der Zeit" anbringen. g14-verderber4.jpg

Der östliche Trakt war somit der letzte Teil, um das Verderber-Haus zu einer Einheit zu bringen. Auch das geschah nicht in einem Zuge. Die ursprünglichen Wiegendächer waren um einige Meter niedriger. Daher ergab sich die Ergänzung mit den hochgezogenen Zinnen am Osttrakt zweifellos aus ästhetischen, harmonischen Überlegungen zu einem späteren Zeitpunkt. Die Jahreszahl "1577" am Schlußstein des Torbogens stammt noch aus der alten Bausubstanz. Die Inschrift "Hans Stevsman" kann nicht geklärt werden. Der Name Stevsman ist in den Retzer Urbaren nicht zu finden. Der Treppenturm im Ostgebäude wurde erst im 17. Jahrhundert gebaut. Im Lichthof ist eindeutig erkennbar, daß der Treppenturm den Fenstern der Nordfassade (aus dem 16. Jahrhundert) vorgesetzt wurde. Vom rechten Teil des Hauses, dem östlichen, führt aus der damaligen Hauseinfahrt (heute "Retzer Stuben") eine gerade Stiege in den Hauskeller, der den "Retzer Stuben" als Speisesaal dient. Von diesem Keller steigt man über etwa 50 weitere Stufen in den Weinkeller, dessen Basis etwa 15 m unter dem Hauptplatz liegt und den Platz bis unter das Sgraffitohaus quert.

Es war in der Rennaissancezeit modern, die alten gotischen Giebeldächer durch Grabendächer (Wiegendächer) zu ersetzen. Da Hanns Fierenz für alle drei Bauteile an der Hauptplatzfront gleiche Höhe erreichen wollte, sind die rechten Zinnen ganz anders gestaltet. Hinter dieser Zinnenfront verstecken sich die Grabendächer. Ungeklärt an dem Verderber-Haus ist auch der Besitz eines Teiles am linken Nachbarhaus (früher Mössmer, heute RAIKA), in dem heute das Skribo-Papiergeschäft etabliert ist. Es war dies wohl zweifellos die Einfahrt in das Nachbarhaus, in der sehr schöne Sessionsnischen (16. Jahrhundert) untergebracht sind. Aber die Einfahrt gehört zum Verderber-Haus!

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Thomas Verderber kam aus der ehemaligen deutschen Sprachinsel Gottschee (heute in Slowenien), in der ein mittelhochdeutscher Dialekt gesprochen wurde. Er kam als kleiner Wanderhändler nach Retz. 1821 gründete er in Retz seine Handelsfirma für gemischte Waren, handelte mit Tuch und forcierte vor allem den Weinhandel, selbstverständlich auch nach Wien, vor allem aber in die von hier nördlich gelegenen Länder der k.u.k. Monarchie. Carl Richter, der eine Geschichte des Handelshauses Thomas Verderber verfaßte, schreibt, daß Wein bis nach Galizien geführt wurde. 

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Literatur: Rudolf Resch: Retzer Heimatbuch, Bd. I, 1936
Familienchronik des Verderber-Hauses
Hans Koepf Stadtbaukunst in Osterreich, 1972
Univ. Prof. Dr. Leopold Mazakarini, Vortrag