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Das Sgraffitohaus

Durch Erbschaft nach seinem Schwiegervater Linhard Radler kam das Eckhaus Hauptplatz - Kremserstraße 1546 in den Besitz des Eisenhändlers Augustinus Resch. Schon seit 250 Jahren war hier ein "ganzes Bürgerhaus" gestanden. Augustin Resch muß wohl als Geschäftsmann einen guten Ruf gehabt haben, denn er war in den 60er Jahren des 16. Jhs. wiederholt im Stadtrat zum "Steuereinnemer" und 1570 zum Stadtrichter gewählt worden. Bis zu seinem Tode 1580 war er stets im Stadtrat vertreten. Das Haus erbte sein Schwiegersohn Albert Hofman.

Es ist nicht gesichert, ob Augustin Resch die Sgraffitomalerei noch erlebte oder ob das Haus nicht erst unter Albert Hofman mit der italienischen Sgraffitotechnik bemalt wurde.

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Es ist auch nicht nachzuweisen, ob Augustin Resch Protestant war, denn er wurde am katholischen Friedhof der Altstadt Retz beerdigt. Aber er wäre sicher nicht Stadtrichter geworden, hätte er nicht seine Loyalität zu den Lutheranern in dem protestantischen Retz gezeigt. Zu seiner Zeit regierte Kaiser Maximilian II, dem man ebenso nachsagt, im Herzen Protestant gewesen zu sein, aber aus politischen Überlegungen der katholischen Kirche treugeblieben zu sein. Der Wechsel der Darstellungen vom Alten Testament (in der Kremserstraße) zu den aus der griechischen Mythologie (Hauptplatz) würde auf eine innere protestantische Einstellung schließen lassen. Als guter Katholik wäre es wohl naheliegend, das Neue Testament (am Hauptplatz) dem Alten Testament folgen zu lassen. Er wollte zweifellos die protestantische Bürgerschaft mit Heiligenscheinen, Heiligenverehrung oder auch mit Marienverehrung nicht brüskieren. Nachzuweisen sind diese Überlegungen nicht. Es ist aber ebenso naheliegend, daß nur Vorlagen für das Alte Testament und für die Griechische Mythologie greifbar waren und deshalb diese Serien hier am Sgraffitohaus verwendet wurden. Die Bilderreihen in der Kremserstraße folgen den Büchern des Moses. Vergilius Solis, Maler und Kunststecher in Nürnberg hatte 1562 diese "Biblischen Figuren gantz künstlich gerissen", die in diesem Jahr (oder 1565) durch den Schriftgießer Johann Rasch und den Drucker David Zöpffel im Verlag Sigmund Feyerabent, Frankfurt am Main erschienen sind.

Die Griechische Mythologie ist den Erzählungen des Ovid entnommen. In der Vorrede heißt es: "Schöne Figuren auß dem fürtrefflichen Poeten Ovido, allen Malern, Goldschmieden und Bildhauwern zu nutz und mit Teutschen Reimen kürzlich erkleret, dergleichen vormals nie in truck nie außgegangen durch Johan. Postium (Johann Post) von Germerßheim MDLXIII. "Am Ende der "vorred" wird ebenfalls Sigmund Feyerabent als Verleger genannt und "welche (Figuren) Vergilius gemacht, (weil er noch lebt) Solis genannt, der durch sein Kunst ist weit bekannt."

Die Lebensbilder stammen aus einer Holzschnittfolge eines aus Sachsen stammenden Monogrammisten "I.R." (sein Monogramm), deren 1. Auflage ca. 1560/1570 erfolgt sein muß, im Original aber nicht mehr erhalten ist. (Ältester erhaltener Nachdruck: 1702). Den Lebensabschnitten sind symbolhaft je ein Tier beigefügt. Aber auch in der Kirche St.Annen (Annaberg - Buchholz in Sachsen ) sind die Lebensbilder mit Tieren ergänzt. Hier war es ein Meister Franz Maidburg, der bereits 1525 die Lebensabschnitte mit seinen Darstellungen beschrieben hat. Es wäre daher durchaus denkbar, daß unser Meister I.R. in Retz seine Kenntnisse von St.Annen verwertete.

Die Texte sind aus dem "Stamm- und Gesellen-Büchlein" des Augsburger Formenschneiders und Verlegers David de Necker, das 1579 in Wien erstmals erschien. Die 8 Zeilen der Gedichte unter den Lebensabschnitten sind nur ein Teil der im Original 22 Zeilen umfassenden Verse. Das Sgraffitohaus ist eine Komposition der Renaissance. Gleichnisse und Symbole werden von uns, Menschen des 20. Jahrhunderts, gar nicht mehr oder zum Teil nur falsch verstanden. Die Motive gehen auf das Verhalten des Menschen ein und sind Mahnungen, sicher nicht Vorbilder, aber auch nicht nur naive Darstellungen. Die ersten Jahrzehnte zeigen nicht nur Lebensfreude, sondern weisen ungestüm auf Schönheit und Stärke.

Denn bald, wenn Todesfälle die nächsten Angehörigen rauben, beginnt der Mensch über den Sinn des Lebens nachzudenken, er wird weiser und überlegter, vielleicht aber auch verschlagen und schlau. Schließlich nötigt die Macht des Todes, alt und jung, arm und reich, ihr zu folgen. Was folgt danach...??

Die kaiserlichen Truppen haben 1620, nach der Schlacht am Weißen Berg (Prag) Retz beschossen. Damals mußte das Sgraffitohaus schwer beschädigt worden sein, da es in der Folge vier Jahrzehnte öd stand und schließlich der Stadt anheimfiel.

Akademischer Maler Ferdinand Heilmann, der 1928 mit großer Sorgfalt die Sgraffiti wieder freigelegt hat, sprach von zwei Übertünchungen bzw. aufgetragenen Verputzen. Da Anton Resch 1933 die bereits zur Verbrennung bereitgelegten Schriftstücke und Abschriften bzw. Zeichnungen des Theodor Weinlich (kk. Directions Adjunkt der Hilfsämter des Wiener kk. Handelsgerichtes) fand und dadurch rettete, ist bezeugt, daß die meisten der Sgraffiti, Motive und Schriften, erst 1887 durch die vollkommene Übertünchung des Hauses verschwunden sind. Weinlich hatte Texte und Bilder 1857 "genau, das ist buchstäblich unter Beibehaltung der Ortografie" abgenommen.

g24-sgraffito2.jpgWährend das Haus weiß übertüncht war, wurden neue Fenster eingesetzt. Dadurch waren viele der Motive geköpft worden.

Im Original von den Kundschaftern des Vergilius Solis (Numeri, XIII. Kap.) ist im Hintergrund eine Stadt abgebildet. Hier am Retzer Sgraffitohaus, steht an deren Stelle der Rathausturm von Retz, der vier Jahre vor Errichtung des Sgraffitohauses bis zur Höhe der Galerie erhöht wurde.

Die Technologie der Sgraffiti stammt aus Italien. Auf einem Rohputz wurde ein mit Kohlestaub eingefärbter, grau bis fast schwarz nuancierter Putz aufgetragen. Darüber wurde nur eine dünne Schichte weißer Putz gelegt und noch im feuchten Zustand wurden die Konturen der Figuren ausgestochen.

  
Literatur und Quellen:

Retzer Heimatbuch, Bd. II, 1951
Archiv der Stadt Retz
Heinrich Magirius: St. Annen zu Annaberg, in: Schnell und Steiner: Großer Kunstführer, 1991
Christian Zermerich: Die Lebensalter in St. Annen zu Annabberg
Otto Erich Deutsch: Aufsatz "Das Riesenbilderbogenhaus in Retz" Zeitschrift Bergland, 1935