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Das Rathaus

Heinrich Krotenstainer und seine Frau Jutta geben 1367 (am 2. Mai) einen Wald her und wollen alle Jahre am St. Jörg-Tag um 3 Wiener Pfennig eine Messe am Frauen-Altar unserer Frauen-Kapelle in Retz. Das ist die erste dokumentarische Erwähnung der Marien-Kapelle. Etwas Licht in die Geschichte des Rathauses brachte das Auffinden des Tores im Westen des Baues, das bis 1987/88 vermauert war, bisher nicht erkennbar, daß sich hier ein frühgotisches Portal verbirgt. Es könnte aus der Zeit um 1280 stammen. Damit kann die Lage jener ursprünglichen Kapelle lokalisiert werden, die "Mittelpunkt" des Marktplatzes wurde, als die Stadt vor 1300 gegründet wurde.

Die Kapelle gehörte der Pfarre Unternalb. Erst 1378 wurde sie als Filiale der Pfarre Retz überschrieben. Die Pfarre Recze war die Pfarre der Altstadt, also jener Bauernsiedlung, die im Norden der später gegründeten, befestigten Stadt gelegen und seit etwa Mitte des 11. Jahrhunderts bestanden hat.

Es war also eine frühgotische Kapelle, gebaut aus Bruchsteinmauerwerk, flach gedeckt mit einer Holzdecke. Der Triumphbogen unserer Kapelle war wohl der Ostschluß, oder aber auch schon Triumphbogen, wenn der Kapelle im Osten eine Apsis vorgebaut war. Der Nachweis einer Apsis könnte wohl durch eine Grabung in der Kapelle nachgewiesen werden.

Die Höhe dieser Kapelle konnte bei der Restaurierung des Rathauses (1987/88) erkannt werden. Das Bruchsteinmauerwerk reichte bis zu den Fenstern im 1. Stock. Das Mauerwerk darüber besteht aus Ziegeln und gehört einer späteren Bauperiode an.

 War diese Kapelle von allem Anfang an unterkellert? Es scheint wohl so. Denn von diesem Keller führen 56 Stufen in einen ausgemauerten Keller und von diesem nochmals 15 Stufen in einen, nur aus Sand herausgearbeiteten Keller, dessen Form uns ein Alter von etwa 600 Jahren aussagt. Wäre dieser Keller erst später entstanden, wäre höchstwahrscheinlich auch das Presbyterium unterkellert worden. Denn im romanischen und gotischen Kirchenbau war es üblich, bevorzugt eine Krypta unter das Presbyterium zu setzen.

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Wann aber wurde das Presbyterium im Osten der romanischen Kapelle vorgebaut? Gibt das Dokument aus 1367 (Stiftung der ewigen Messe) einen Inhalt? Das hohe Gebäude mit den aus Steinquadern aufgebauten Stützpfeilern, mit nur einer Tropfnase würde wohl dem 14. Jahrhundert entsprechen. Der neben dem Presbyterium stehende Turm ist mit dem Presbyterium aus einem Guß. Der Erker im Osten gehört der Gotik an. Wie sein erster Turmhelm aussah, wissen wir nicht. Das Mauerwerk des Turmes dürfte jedoch die Mauern des Presbyteriums nicht wesentlich überragt haben. Seine Funktion war also nicht der eines Stadtturmes. (Wie ich bei der Beschreibung des "Verderber"-Hauses erläutert habe, könnte der mittlere Teil des "Verderber"-Hauses in der Gotik die Aufgaben des Stadtturmes, z.B. für eine Brandwache, gehabt haben).

Auch die Laibungen der gotischen Fenster, die sich im Mauerwerk verstecken, würden uns bei der Altersbestimmung des Presbyteriums helfen. Die Spitzbögen dieser gotischen Fenster sind am Dachboden des Rathauses sichtbar, vielleicht wären auch die Maßwerke noch erhalten; eine einfache Schar Ziegeln behindert die Sicht. Das Presbyterium hatte eine flache Holzdecke, die Löcher zur Aufnahme der Trame sind am Dachboden sichtbar.

War durch König Mathias Corvinus (1486), nach der Devastation durch die Hussiten (1425), auch die Marien-Kapelle nochmals zerstört worden? Erst 1520 wurde die Frauen-Kapelle und vier Altäre geweiht. 5 Fragmente von Weihekreuzen von dieser Weihe wurden 1979 freigelegt und sind im Presbyterium sichtbar.

Die Reformation überrollte sehr rasch nach dem Auftreten des Martin Luther auch Retz, 1540 war das Dominikanerkloster ohne Mönche! So hatte auch die Retzer Bevölkerung kein Interesse an einer Marien-Kapelle. Sie war Filiale der Pfarre St. Stephan in der Altstadt. Und die war seit 1362 dem Orden der Augustiner Chorherren St.Pölten inkorporiert. Die Marien-Kapelle blieb in katholischer Hand. In den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts erwarben die Retzer Bürger die Marienkapelle. Allerdings mit der Auflage, daß eine (katholische) Kapelle erhalten bleibt. Daher wurde in halber Höhe eine Zwischendecke eingewölbt, sodaß in dem nunmehr oberen Stockwerk ein Ratsaal und über dem ehem. frühgotischen Kapellenteil ein Bürgersaal, ein Versammlungssaal, entstanden war. Dazu kam an der Südseite, an der Außenseite ein mächtiger Stiegenaufgang angebaut, der den immensen Seitenschub (Druck) der Zwischendecke aufzufangen hatte. So hat Retz seit 1569 ein sehr repräsentatives Rathaus, mitten auf dem herrlichen Marktplatz. Retz war protestantisch geworden! Wenige Jahre später (1572) wurde der Turm erhöht, bis zur Galerie. Die wurde erst anfangs des 17. Jahrhunderts mit einer Wohnung für den Türmer aufgebaut.

Als Ende 1620 die kaiserlichen Truppen in der Schlacht am Weißen Berg (bei Prag) den protestantischen König von Böhmen, Friedrich von der Pfalz, geschlagen hatten, kamen die kaiserlichen Truppen auf dem Rückweg nach Wien auch nach Retz. Oberst Schweinsböck verlangte die Öffnung der Stadttore. Retz verweigerte dies als protestantische Stadt. Erst als am Hauptplatz acht Häuser in Flammen standen, ergab sich Retz. Vom Rathaus war der Dachstuhl abgebrannt. Da das Haus seit einem halben Jahrhundert profaniert war, der Stadt gehörte, setzte man kein spitzes Kirchendach. Es war in der Zeit der Renaissance modern geworden, Grabendächer auf Stadthäuser zu bauen, und erreichte damit die Möglichkeit, am Dachboden Regenwasser als eventuelles Löschwasser zu sammeln. Das Presbyterium erhielt ein Flachdach. Retz war wieder katholisch geworden. 1729 war von den Bürgern eine kleine Orgel für die Kapelle gekauft worden. Johann Kaspar Waitzl aus Krems war der Meister. Das war der Anlaß, warum das Westtor vermauert wurde, dessen Laibung 1987 wieder gefunden wurde.

Im Presbyterium war das Zwischengewölbe durch (vermutlich) zwei Pfeiler unterstützt gewesen. Diese Pfeiler störten beim Gottesdienst, daher wurde durch den Baumeister Ebner aus Retz im Presbyterium eine neue Zwischendecke eingewölbt. Es mußte der Ratsaal neu geschmückt werden. Gottlieb Starmayr aus Dürnstein (Wachau) erhielt den Auftrag, ein Fresko mit den Tugenden aufzubringen. Vom Meister Starmayr durfte der Kriegsgott Mars (im Osten), der Genius mit dem Bindenschild und der kleine Putto, der das Buch der Göttin der Weisheit, Athene, hält, stammen. Der überwiegende Rest des Freskos wurde von dem 22-jährigen Lehrling, als Büble bezeichnet, hergestellt. Dieses Büble mit dem Namen Martin Johann Schmidt wird später als der große barocke Meister "Kremser Schmidt" bezeichnet. Schmidt bekam, nachdem er das Deckengewölbe fertig hatte, den Auftrag, die deutschen Kaiser, soweit sie Habsburger waren, also von Rudolf I. bis Karl VI., in Öl zu malen. 36 Gulden (fl) erhielt Schmidt für diese Medaillons, einschließlich der Restaurierung der Bilder des Kaisers Ferdinand II. und dessen Gemahlin. In der Abrechnung für das Deckenfresko heißt es in der Quittung "82 fl dem Herrn Schmidt und seinen Kameraden". Der Meister wurde in der Quittung namentlich gar nicht genannt. Daraus ist erkennbar, daß der überwiegende Teil des Freskos vom Kremser Schmidt hergestellt wurde und daß die Retzer Bürger Martin Joh. Schmidts meisterliches Können erkannten. Die Quittung mit Schmidts Unterschrift liegt im Retzer Archiv. Nach dem Tod Kaiser Karl VI. (1740) mußte Martin Joh. Schmidt auch Maria Theresia, die nach ihres Vaters Tod in Österreich die Regierung übernahm, und ihren Gemahl, den deutschen Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen, in eigenen Medaillons darstellen. Der Kachelofen wurde erstmals 1703 aufgesetzt und heizte den Ratsaal bis zum 2. Weltkrieg.

Auch die Kapelle mußte neu gestaltet werden. Ein in Znaim arbeitender Maler, Leopold Daysigner, gebürtig aus Zlabings (Slavonice), erhielt den Auftrag, das Marien-Bild des Hauptaltars zu malen. Ein Retzer Bürger, Tischlermeister Jakob Barth, stellte den Rahmen dieses Bildes her. Menschen, die künstlerisch so begabt sind, bekommen weitere Aufträge. Der Altaraufsatz und die Kanzel sind von ihm. Das Gestühl war 1767 vollendet. Am ersten Stuhl der Frauenseite (links) hat sich Jakob Barth verewigt. (Das Chronogramm weist das Herstellungsjahr aus). Auch die Seitenaltäre, die Luster, die Brüstung des Musikchors und die Kreuzigungsgruppe am Triumphbogen sind Arbeiten des Jakob Barth: (Er schuf auch die Modelle der Dreifaltigkeitsäule am Hauptplatz und vermutlich auch die Schränke in der Bibliothek des Dominikanerklosters.) Daysigner, der Maler des Marienbildes, erhielt den Auftrag den Kirchenraum malerisch zu gestalten. Alle Motive haben einen Bezug zur Eucharistie, denn Auftraggeber war die Fronleichnamsbruderschaft, die seit der katholischen Reformation (Gegenreformation) die Marien-Kapelle betrieben hat. Es waren die Retzer Bürger, die in dieser Bruderschaft vereint waren, nicht die Pfarre, die hier ihren Reichtum zur Schau stellten. Und reich waren die Retzer Bürger, damals, als der Weinhandel dominant war. Retz war durch Jahrhunderte d i e Metropole für den Weinhandel, der in erster Linie nach dem Norden ausgerichtet war, bis nach Galizien wurde Retzer Wein geliefert.

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Ein Besuch des Rathauses ist lohnenswert. Alleine ein Blick in die Marien-Kapelle zeigt die Wohlhabenheit einer Handelsstadt, in der der Wein mit Reichtum gleichzusetzen war.

Der Ratsaal wird heute noch aktiv genützt. Sowohl die standesamtlichen Trauungen als auch die Gemeinderatssitzungen finden hier statt. In der Marien-Kapelle wird nur im Winter, Advent bis Ostern, die Sonntagsmesse der Dominikaner gelesen.